DAS DUPLIKAT
„Erinnerst Du Dich noch an die Geschichte, die uns Gregory erzählt hat, damals meine ich, als er den Auftrag hatte Mariotti umzulegen?“ „Ja, ja ich erinnere mich, total verrückt.“
Die beiden Männer sitzen in ihrem Wagen und frieren. "Weißt Du, das Verrückte ist ja, die beiden hatten einen richtig netten Abend verbracht, hatten sich verhalten wie alte Freunde, über Gott und die Welt gequatscht und dabei viel gelacht."„Auf dem Weg nach Hause, hatte ihm Gregory plötzlich die Knarre an den Kopf gehalten, aber dann machte es nicht „Plop.“
Die Knarre hatte Ladehemmung.“Paolo lächelte jetzt, während er sich auf dem Beifahrersitz die Zigarette anzündete. „Mariotti hat ihn eine Sekunde lang wie versteinert angesehen und dann hat Gregory lauthals gelacht, hat es wie einen Scherz aussehen lassen, Mariotti war erleichtert, wieherte vor Lachen wie ein junges Fohlen.“ „Ja, ich weiß, aber dann hat er ihn erschossen.
“Es ist eine dieser Nebenstraßen in einem Vorort von Mailand.
Die einzelnstehenden Häuser sind von kleinen Parks umgeben. Man merkt sofort, hier wohnen die Macher, die Manager, die Leiter großer Unternehmen.
Die ganze Aufmerksamkeit der beiden Männer gehört einer Türe, die im Fastdunkel liegt. Ihr eigener Wagen steht im Schatten von Bäumen, die beiden sind Profis, sie kennen das Geschäft.
„Aber weißt Du, was mich immer an Gregory gewundert hat?“ „Ach, Du meinst diesen wundersamen Tick, den er hatte, die Sache mit der Brille?“ „Ja, immer wenn er einen Auftrag ausführte, zog er vorher seine Sonnenbrille auf, egal ob es hell war oder dunkel, er ließ nie davon ab.“ „Na egal, Mariotti hatte es jedenfalls nichts genutzt.“
*
Bartholomeo Brossi war ein sehr vorsichtiger Mann. Er hatte kein Telefon. Erst mit Mitte dreißig war er durch einen Verwandten zur Camorra gestoßen. Er hatte eine eigene Baufirma und schon vorher Kontakte zu den Vertretern der Bosse gehabt.
Sein Geschäft blühte auf und so war es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Mitgliedschaft. Er hatte den "Kodex von San Luca" mitgemacht und damit seine Seele der Mafia verkauft.
Alles lag schon lange zurück, er war aufgestiegen vom Sgarrista zum Santista und vor ein paar Jahren hatte er es, mit Unterstützung der Alleanza di Secondigliano geschafft, zu il Vangelo zu werden. Er war jetzt ein Boss.
Aber Brossi wusste auch um die Zerbrechlichkeit seines erworbenen Status. Es gab immer Neider in konkurrieren- den Organisationen. So hatte er schon früh angefangen nach Möglichkeiten zu suchen sich und seine Familie zu schützen.
Sein Bruder Michele brachte eines Tages einen Schulfreund mit, der, zur Überraschung Brossis und seiner Frau, ihm wie aus dem Gesicht geschnitten aussah. In den nächsten Wochen reifte in seinem Kopf ein Gedanke heran, er manifestierte sich, und dann fiel die Entscheidung.
Dem jungen Mann, der Angelotti Farutschi hieß, wurde ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte und so wurde auch er indirekt Mitglied im Clan der Camorra von Neapel.
In den darauffolgenden zwei Jahren hatten sie ihn auf seine Aufgaben vorbereitet. Er lernte singen und über das Singen das richtige Sprechen. Er lernte tanzen und über das Tanzen das richtige Gehen. Er setzte einen Bauch an und musste eine Brille benutzen. Sein Aussehen war, nach drei kleinen chirurgischen Eingriffen, nahezu perfekt.
Das Einzige, was ihm fehlte, waren betriebswirtschaftliche Kenntnisse, aber die wurden ihm beigebracht und dann hatte er seinen ersten Auftritt. Damals ging es nur um seine Anwesenheit, er musste kein Statement abgeben, er musste zuhören, musste die Bosse kennenlernen, er musste die Schwingungen spüren, sich die Gesichter merken und aus ihnen die wahren Beweggründe erfühlen, die sich hinter den „Masken“ verbargen.
Angelotti Farutschi hatte nie auf einer Bühne gestanden, er war kein Schauspieler. Angelotti Farutschi war mehr, er war ein Genie. Er hatte sich vom ersten Moment an wohlgefühlt in seiner Maskerade, er hatte schon nach einigen Sitzungen angefangen Brossis Strategien in den Konferenzen vorzutragen und es hatte sich, mit der Zeit, ein Clan um ihn gebildet, der ihm zutraute, dass er zu Höherem geboren sei.
Brossi gefiel das, er saß in seinem gut gesicherten Heim, oberhalb von Neapel, ließ sich alles berichten und traf dann seine Entscheidungen.
In den Jahren war es immer wieder vorgekommen, dass innerhalb der Familien „Unfälle“ passierten, dass ein Schwager verschwand, ein Enkel entführt und mit Aufwand und viel Geld zurückgeholt werden konnte.
Brossi musste sich keine Gedanken machen, er hatte ja Angelotti, quasi als Prellbock, der im Ernstfall die Dinge „abfedern“ musste. So vergingen die Jahre.
Aber die alten Bosse starben aus oder wurden durch jüngere abgelöst, die hatten ganz andere Pläne, sie waren hochgebildet, hatten im internationalen Geschäft ihre Finger drin und überließen nichts dem Zufall.
Aber auch in Mittelitalien änderten sich die Gepflogen- heiten, Konkurrenten mit neuen Strategien tauchten auf, es wurde hart um die Märkte gekämpft.
So blieb es nicht aus, dass Brossi immer wieder zu hören bekam, dass er sein Geschäft ausweiten müsse, das läge im Interesse der Camorra, speziell in und um Neapel. Eigentlich kam ihm das nicht wirklich ungelegen, schon vor zwei Jahren hatte er angefangen sich mit Bankgeschäften zu beschäftigen.
Einige junge, talentierte Leute waren hinzugekommen, sie brachten ihr IT-Wissen mit ins Unternehmen und so wehte seit einiger Zeit ein frischer Wind durch Brossis heilige Hallen.
Aber das reichte den Bossen alles nicht, sie wollten, dass Brossi sich mit dem Wettgeschäft auseinandersetzen sollte. Angelotti bekam aber von Brossi Instruktionen, sich so lange wie möglich aus der Sache herauszuhalten. Das ging auch eine Zeitlang gut, doch der Druck wurde größer, Brossi, von seinem Double vertreten, war der Auffassung, man müsse weich argumentieren, also ohne feste Zusage versuchen aus der Sache herauszukommen.
Als alter Hase wusste er, dass das zur Verfügung gestellte Zeitfenster für ihn immer kleiner wurde. Was in all den Jahren nie vorgekommen war, gehörte mittlerweile zum wöchentlichen Ritual, es kam mit Angelotti zu lauten Diskussionen.
Angelotti argumentierte im Sinne der verbrüderten Bosse und fragte sich insgeheim, was konnte der wahre Anlass sein, dass Brossi sich stur wie ein Esel verhielt.
Was Angelotti Farutschi nicht wissen konnte, Brossi saß in einer Zwickmühle. Sein Enkel hatte in die Ndrangheta eingeheiratet und die hatten in Sachen Wettgeschäfte die Führungsrolle.
Die Ndrangheta war bekannt dafür, rigoros ihre Besitz- ansprüche zu verteidigen. Viel schlimmer noch, sie schreckten auch nicht vor innerfamiliären Morden zurück.
Ja man wusste zu berichten, dass bestimmte Familien dieser Organisation es den Neuaufgenommenen auferlegten, einen der Ihren zu ermorden, erst dann wurden sie in Ehren eingegliedert. Was blieb Brossi übrig?
Angelotti, dessen Herz sich schon seit geraumer Zeit im Zwiespalt befand, fuhr mit der Instruktion zum nächsten Treffen, allen Bossen klarzumachen, dass er nicht in das Wettgeschäft einsteigen würde aber bereit sei, sich mit Waffengeschäften auseinanderzusetzen. Er sähe hier gute Ansatzmöglichkeiten durch seine Baukontakte im Libanon und im Sudan.
*
Paolo drückte die Zigarette aus als die schwarze Limousine am Straßenrand anhielt.
Ein Mann stieg aus, langer schwarzer Mantel, Handschuhe und einen dieser Hüte auf dem Kopf der es nicht zuließ, dass man ihm so einfach ins Gesicht sehen konnte. Er ging zur Haustüre und drückte den Knopf.
Paolo betätigte den Anlasser. Im Licht der geöffneten Türe stand Brossi, pyjamabekleidet, die Brille weit vorne auf der Nase. Sein geöffneter Mund spiegelte das Erstaunen wieder.
Paolo beschleunigte den Wagen, der Blick aus dem Seitenfenster, das Lächeln auf den Gesichtern der beiden Männer als sie sahen, wie der Mann aus seinem schwarzen Mantel eine Sonnenbrille herausnahm.
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